Weißt du, die Tage rund um die Sommersonnenwende sind dieses Jahr irgendwie anders. Die grelle Hitze liegt weiterhin über den sattgrünen Bäumen in unserem Viertel. Manchmal spaziere ich die Allee der alten Ahornbäume entlang, biege in die kaum belebte Nebenstraße ein und folge dem schmalen Kiesweg, über den wir früher unsere Fahrräder schoben, wenn abendlicher Nebel alles feucht machte. Deine Straße, mit den altgoldenen Gründerzeithäusern, in denen du dir einst ausgemalt hast, wir würden dort wohnen, wenn wir alt sind. Jetzt, zur Sonnenwende, erinnert mich alles an dich – selbst der Kirschmichel mit dicker Vanillesoße lässt dich vor meinem inneren Auge auftauchen, als gehörtest du in jeden Sommermoment.
Als Kind hast du den längsten Tag des Jahres immer deine „Lieblingszeit“ genannt und behauptet, er verändere deinen Körper. Ich musste lachen, weil doch niemand wegen eines bloßen Wetterereignisses anders wird. Inzwischen verstehe ich dich. Ich sitze allein vor unserem Stammlokal, Tisch 2 gleich neben der Treppe, betrachte das Rot und Orange der frisch erblühten Sommerblumen, nippe an einem kühlen Krug Lager und denke an den Moment, in dem du damals wortlos dem Wellenrauschen entgegengegangen bist.
Die diesjährige Sonnenwende ist merkwürdig: Erst brütende Sonne, die das Grün ermattet, dann tagelange Regengüsse, die mich im Haus festhalten. Ich sitze mit Mutter im dämmrigen Licht nach dem Gewitter, leiser Musik im Hintergrund, einer hauchdünnen Kaffeewolke in der Luft. Sie lacht, als ich sage, die Sonnenwende würde meinen Körper verändern.
Vielleicht hattest du recht: Wir verändern uns, weil sich die Welt wandelt. Vielleicht hat Mutter recht: Wir verändern uns, weil wir jung sind und noch wenig verstehen. In jedem Fall wird mir klar: Die Welt bleibt wie sie ist – die Sommersonnenwende markiert Mitte Juni, der Sommer bringt Blüten und Früchte. Was sich wirklich ändert, ist das, was in uns vorgeht.
An dem längsten Tag des Jahres in der Pappenheimer Wirtschaft
Mit Liebe,
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