Sommer möchte erst mit dir zurückkehren

Hamburg, im Frühsommer

Lieber M,

das Frühsommerwetter in Hamburg ist in diesem Jahr eigenartig – du würdest es wahrscheinlich sofort bemerken.

Vielleicht ist der Sommer bei dir längst angekommen. Ein richtiger Sommer: heiß, wild, voller Licht. Mit Trägershirt und staubigem Feldweg, mit kühlen Bachläufen, in denen du runde Kiesel findest und sie sammelst, wie früher, in das Glas, das dich durch deine Kindheit begleitet hat. Ein Sommer, wie er in Wäldern duftet, wenn du am Morgen Pilze pflückst.

Hier in Hamburg dagegen wirkt der Sommer, als hätte er Angst zu bleiben – ein flatternder Schmetterling im offenen Fenster, der sich nicht traut, sich niederzusetzen.

An hellen Tagen sitze ich manchmal unter dem Vordach, trinke einen Cold Brew, betrachte die Lavendelbüsche, die Mutter am Anfang der Saison gepflanzt hat. Ihr Duft liegt schwer in der Luft, kriecht in jede Ecke des Hauses – so wie er damals durch dein Zimmer zog. Manchmal, wenn ich vorbeigehe, glaube ich, ihn wiederzuerkennen.

Manche Tage verbringe ich auf unseren alten Wegen. Und wenn ein Regenschauer mich überrascht, flüchte ich mich in die Pappenheimer Wirtschaft, setze mich an unseren Tisch, Nummer 5, und bestelle ein Glas Göller Rauchbier – denselben kräftigen, rauchigen Geschmack unserer Heimat.

Ein bisschen hat sich verändert: Der Blumengarten an der Straßenecke ist wilder geworden, die Bank unter der Linde fast verschwunden unter dichtem Grün. Und doch ist alles irgendwie wie damals. Ich gehe noch immer an Sommertagen in unser Lokal, esse fränkische Küche, schaue durch das Fenster – mal in den Regen, mal in die Sonne.

Mutter erwähnt dich manchmal, ganz beiläufig, wenn sie von vergangenen Sommern spricht. Und ich spüre: Der Sommer ist noch nicht ganz in Hamburg angekommen.

Denn vielleicht – ganz vielleicht –
will er erst mit dir zurückkehren.

In Gedanken bei dir,

PW