Ich weiß was du letzten Sommer getan hast

Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast.
Du hast in einer Villa auf einem Hügel über dem Meer gewohnt. Die Postkarte, die du mir schicktest, trugen das friedliche Blau einer Morgendämmerung, die bis zum glitzernden Horizont reichte. Du schlendertest durch Souvenirläden an der lärmenden Küstenpromenade, kauftest einen Strohhut, den du noch am selben heißen Tag verlorst, und eine winzige Muschelkette, die jetzt in der Erinnerungs­schachtel auf meinem Nachttisch liegt.

 

An heißen Strandtagen hast du dir die Haut so sehr bräunen lassen, dass die Farbe noch bis in den Herbst hielt. Nachts bliebest du wach im bläulichen Mondschein oder starrtest auf den Leuchtturm, der in der Ferne aufblinkte, und dachtest an mich, wünschtet, ich wäre dort.

 

Du weißt nicht, was ich letzten Sommer getan habe.
Ich habe deine Briefe wochenlang nicht beantwortet, freute mich kaum über Postkarten mit unverständlichen Fremdsprachen. Du wusstest nicht, dass ich oft auf dem Balkon mit Blick auf die Alster saß, dabei jenes Klavierstück anhörte, das wir einst irgendwo im Süden Frankreichs entdeckten. Ich streifte durch Mutters sorgsam gepflegten Garten, überzeugt, du würdest nach Hamburg zurückkommen. Die dunkelroten Rosen standen in voller Blüte; ihr betörender Duft drang Nacht für Nacht in meine Träume.

 

Doch wir beide wissen, was wir in diesem Sommer tun.
An den ersten Junitagen kannst du nicht schlafen, läufst in deinem Zimmer hin und her, öffnest ab und zu eine Schachtel – ich vermute, es ist die mit den alten Games, die wir als Teenager zusammen gespielt haben. Wir gehen immer noch in unser Stammlokal, bestellen ein frisch gezapftes Urstoff, naturtrüb und vollmundig, und kehren mit sanftem Schwips heim. Wir sitzen wortlos im Garten, denken nur an die stürmische Jugend, die hinter uns liegt.

 

Wir wissen, was wir in diesem Sommer tun: Wir sind beieinander – und das genügt.

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