Du wunderst dich, wie Hamburg im Herbst aussieht – nach all den Jahren, in denen du nicht mehr in diese Stadt zurückgekehrt bist.
Hamburg im Herbst ist anders als in den Tagen, als du noch hier warst.
Wenn du jetzt hier wärst, du würdest dein Zimmer mit dem Geruch von Holz und der feuchten Luft der Nieselregen in der Mitte des Herbstes nicht mehr verlassen wollen. Du würdest vielleicht über den
grauen Schleier klagen, der sich über den Alstersee legt, sichtbar durch das beschlagene Küchenfenster, in der stets ein Kessel heißen Earlgrey-Tees auf dich wartet – den Mutter wie immer vorbereitet
hat.
Du fragst dich, was ich in diesen Tagen mache – in diesen Monaten, in denen du seit langem nicht mehr erlebt hast, als wären sie die Lückenmonate des
Jahres.
Ich gehe oft mit Mutter in unser Stammlokal, an den späten Nachmittagen der Septemberwochenenden. Wir sitzen auf der Terasse, wo Chrysanthemen in allen Farben blühen, und sehen den letzten
Sommerstrahlen zu, wie sie auf den Tisch fallen und sich golden wie Honig im Glas Urstoff spiegeln.
Ich sitze meist am Tisch Nummer 4 – meinem neuen Lieblingsplatz – und beobachte die Menschen, die kommen und gehen, ihre Gespräche, die sich in den feuchten Oktobertagen am Boden der Gläser
verlieren.
Man glaubt, solche Geschichten seien belanglos – bis man irgendwann begreift, wie kostbar jeder Augenblick ist, weil sich kein Moment je wiederholt.
Du wunderst dich, wie wir wohl sein werden in den Herbsten, die noch kommen.
Vielleicht sitzen wir in der ersten Reihe des letzten Busses des Tages nach Hause, steigen eine Haltestelle früher aus, weil wir durch den Regen aus goldenen Blättern im trockenen November schlendern
wollen. Vielleicht löffeln wir Kürbissuppe, um uns in den kalten Tagen zu wärmen, vielleicht hören wir spät in der Nacht eine Geschichte aus dem alten Radio, das wir aus einer fernen Vergangenheit
hierhergebracht haben.
Vielleicht tun wir etwas Unbedachtes, wie damals in Fürth – und lachen uns schwindelig, wenn Mutter uns tadelt.
Du fragst dich, ob ich die goldenen Herbste noch liebe –
in den Tagen ohne dich.
Aber du weißt nicht,
dass ich mich noch immer an dich erinnere –
an dich aus jenem Herbst,
und dich mir vorstelle in der stillen Straße,
unter dem Glitzern der Laternen,
als wärst du Teil einer alten Sage.
Und so, auch wenn die Jahre vergehen,
auch wenn wir uns verändert haben,
auch wenn die Straße, zu der wir oft gingen, reicher geworden ist
und das Stammlokal neue Gerichte auf seiner Monatskarte hat –
der Herbst in meinem Herzen bleibt derselbe.
Denn ich weiß: all diese Jahre bringen mich dir nur näher.
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